Wenn das Heimweh kam…

Das Brot aus dem NDR-Beitrag

Das Brot, das ich letztens im Beitrag für den NDR gebacken habe, hat eine besondere Geschichte. Hier ist Platz, sie zu erzählen:

Der Brief ist mit der Schreibmaschine geschrieben. Auf dünnem Papier. Er stammt aus den 70er- oder 80er-Jahren. Und abgesehen von der Grußfloskel am Ende, ist er vor allem eines: ein Brot-Rezept. Für Puffert. Das ist ein Kartoffelbrot aus dem Bergischen Land. Das Brot meiner Kindheit. Wir aßen den Puffert – am liebsten noch lauwarm aus dem Ofen – mit Butter und Salz. Manchmal auch mit selbstgemachter Marmelade am Nachmittag.

Damals in den frühen 80ern

Dass das Brot noch eine ganz andere Geschichte hatte, wusste ich nicht. Der Brief stammt von einer Schwester meines Stief-Großvaters. Meine Großmutter war früh Witwe geworden. Als wenig gebildete Frau ohne Ausbildung – wenn man mal von einem Jugendjahr, das sie „im Haushalt“ einer besser situierten Familie verbracht hat, absieht – war sie auf die finanzielle Hilfe anderer angewiesen. In diesem Fall auf die meines Vaters. Und so traf sie, als der dann in den 60er-Jahren meine Mutter heiratete, die Entscheidung, das junge Paar finanziell nicht weiter belasten zu wollen und heiratete einen alten Bekannten ihres Mannes. Um versorgt zu sein. Dass es eine Liebesheirat war, bezweifle ich. Zuerst ging sie zu ihm ins Bergische Land, hatte dort aber großes Heimweh. Jahre später zog er mit ihr zurück in unsere Nähe, an den Rand des Ruhrgebietes. Wahrscheinlich hatte von da an er das Heimweh. Gesagt hat es wohl nichts. Doch seine Schwester ahnte es wohl – und schickte uns damals dieses Brotrezept.

Der Brief von damals

Heiraten, um versorgt zu sein… Heute würde man denken, diese Zeiten liegen hinter uns. Schaut man auf die Statistik, sollte man sich da aber nicht so sicher sein: Frauen sind auch heute noch in Deutschland im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gesamt­bevölkerung (50,9 Prozent 2023) im Berufsleben unterrepräsentiert. Nur 46,9 Prozent der Frauen gingen 2023 einer Beschäftigung nach, nur knapp jede dritte Führungskraft ist eine Frau. Wenn ich mich aus meiner „Medien-Blase“ entferne, höre ich auch unter Frauen mit höheren Schulabschlüssen und guter beruflicher Qualifikation häufig Sätze wie „Ich muss nicht arbeiten, mein Mann verdient genug“. Sätze, die mich an meine Kindheit erinnern, als es über berufstätige Frauen hieß, da wolle sich mal wieder eine selbst verwirklichen. Und Sätze, die für jede Frau, die in den vergangenen Jahrzehnten für Unabhängigkeit und Gleichberechtigung gekämpft haben, ein Schlag ins Gesicht sind. Und dann frage ich mich, ob der Puffert für meine Großmutter womöglich gar kein so tröstendes Brot war, sondern ein Symbol für all die Chancen, die sie nicht hatte.

Puffert! Innen saftig, außen Knusperkruste

Als Kind jedenfalls liebte ich ihr saftiges Kartoffelbrot. Und ich backe es heute wieder häufiger. Nicht aus Heimweh. Viel mehr mit der Erkenntnis, dass nicht ein Ort alleine Heimat sein kann. Viel mehr sind es die Menschen, die man trifft, die Chancen, die man nutzt und all die Geschichten und Gefühle, die einem Wurzeln geben. Und manchmal ist es eben auch ein offenwarmer Puffert mit dicker Butter und etwas Salz.

 

Puffert

Für den Vorteig, 250 gr. Mehl mit 2 Päckchen Trockenhefe verrühren, dann 1/4 Liter Milch (warm) dazugeben und zu einem glatten Teig verrühren. An warmen Ort gehen lassen.

Inzwischen gut 1,5 kg Kartoffeln schälen, auf ein Sieb reiben, noch etwas andrücken und in eine Schüssel geben. Uber die geriebenen Kartoffeln 1/4 Liter kochende Mich gießen und mit 2 Eßlöffel Öl und einer kleinen handvoll Salz gut verrühren.

Kartoffelmasse zum Vorteig geben und mit gut 1 kg Mehl zu einem geschmeidigen Teig verarbeiten. Gut durchkneten. Teigmasse in gefettete Form und dann in nicht vorgeheizten Backofen geben.

Herd auf 50 Grad einstellen und nach 10-15 Minuten auf 200 Grad. Nach 25 Minuten Hitze auf 175 Grad herunterstellen und bei dieser Hitze Puffert 1 1/2 Stunde backen.

Schaffte es letztens ins NDR-Fernsehen: der Puffert

Viel Spaß beim Nachbacken! Und am besten noch ofenwarm mit Butter und etwas Salz genießen!

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Ein Büfett wie in den Achtzigern